Kolloquium „30 Jahre Duplexforschung“ an der Ruhr-Universität Bochum


Wenn zu einem werkstofftechnischen Kolloquium über eine Stahlfamilie, die an der gesamten Stahlproduktion nur einen sehr geringen Anteil hat, 150 Teilnehmer anreisen, und dies ohne große werbetechnische Anstrengungen, dann spricht dies nicht nur für das große technische und kommerzielle Potential dieser Werkstoffe, sondern auch für das Vertrauen in die Kompetenz des Veranstalters.

Das Lehrgebiet Werkstoffprüfung im Institut für Werkstoffe der Ruhr-Universität Bochum veranstaltete am 16. Mai 2013 zum vierten Mal ein werkstofftechnisches Kolloquium über ferritisch-austenitische Duplexstähle unter dem Titel „30 Jahre Duplexforschung“. Es gab damit einen Überblick über den Stand der Technik und Wissenschaft und beleuchtet gleichzeitig einen wichtigen Aspekt des wissenschaftlichen Werks von Prof. Dr.-Ing. Michael Pohl. Ehemalige und aktuelle Mitarbeiter und Industriepartner berichteten über die verschiedenen Facetten dieser Stähle, die hohe Festigkeit und ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit in vielen Medien aufweisen, und diese Eigenschaften bei einem vergleichsweise geringen Anteil an teuren Legierungselementen. Die Palette der Vorträge reichte dabei von grundlegenden Arbeiten über numerische Legierungsentwicklung und Metallurgie bis zur Darstellung des Potentials in realen technischen Anwendungen.

Prof. Pohl führte in der ihm eigenen souveränen Art in das Themengebiet ein, erläuterte die Historie der Entwicklung, erklärte die Grundlagen und zeigte damit das Potential der Werkstoffgruppe, aber auch die Herausforderungen an Hersteller und Verarbeiter der Duplexstähle auf. Prof. Murat Mola (Hochschule Ruhr West) berichtete über die Entwicklung einer Duplex-Legierung mit niedrigsten Legierungskosten, wozu eine numerische Optimierungsmethode benutzt wurde. Dazu war es notwendig, die Basis thermodynamischer und kinetischer Daten, die dazu benötigt werden, mittels empirischer Messungen an die realen Eigenschaften anzupassen. Dr. René Höhner (Siemens AG) benutzte ebenfalls diese numerische Methode, um Duplexlegierungen mit höchsten Stickstoffgehalten zu entwickeln. Damit sollte eine weitere Steigerung der Festigkeit erreicht werden.

Dr. Oliver Storz (Volker Storz Werkstoffberatung) beleuchtete die Kinetik und Morphologhie der Ausscheidung von Sigma-Phasen. Diese spröde intermetallische Phase ist die Achillesferse der Duplexwerkstoffe, da sie selbst bei kleinen Gehalten die Gebrauchseigenschaften erheblich beeinträchtigen kann. Über das unterschiedliche thermische Ausdehnungsverhalten von Ferrit und Austenit sprach Dr. Andreas Bracke (Germanischer Lloyd). Er zeigte die Auswirkungen auf das Fertigungs- und Verarbeitungsverhalten und den Einfluss auf die Eigenspannungen des Materials, die wiederum erheblichen Einfluss auf die Beständigkeit gegen Spannungsrisskorrosion haben. Dipl. Math. Bertram Brust (Bertram Brust CAE Consulting) simulierte mit der Finite Elemente Methode die Wechselwirkungen in der Mikrostruktur und das Verhalten unter mechanischer Belastung. In einem aktuellen Forschungsprojekt untersucht Dipl. Ing. Marina Knyazeva (WP, Ruhr Universität Bochum) das Tieftemperaturverhalten von Duplexstählen, eine Eigenschaft, die für den Einsatz und den Transport von Erdgas von grosser Bedeutung ist. Sie berichtete über den Einfluss von Legierungselementen und anderer gefügebedingter Einflussgrößen und fand dabei unerwartete Effekte. Prof. Andreas Ibach (Westfälische Hochschule) zeigte in seinem Vortrag die hervorragende Eignung von speziell angepassten Duplexwerkstoffen in Systemen mit tribologischen Belastungen.

Dr. Till Schneiders (Deutsche Edelstahlwerke) stellte in seinen Ausführungen die besonderen Anforderungen bei der Herstellung von dickwandigen Gussstücken und Schmiedestücken mit großen Abmessungen dar. Entscheidend ist die Kenntnis und Kontrolle der Wärmeführung beim Erstarren und Wärmebehandeln, da nur so optimale Eigenschaften erreicht werden können. Im abschließenden Vortrag erläuterte Dipl. Ing. Klaus Frerichs (Westfalia Separator) den Einsatz von Duplexstählen für schnell drehende Zentrifugen und Dekanter. Er beschrieb, welche Spezifikationen für Vormaterial und Verarbeitung und welche qualitätssichernden Maßnahmen notwendig sind, um die hohen Belastungen auf das Material in der späteren Anwendung erfolgreich bewältigen zu können.

Alle Vorträge zeichneten sich nicht nur durch detaillierte inhaltliche Informationen aus, sondern wurden mit großer Leidenschaft vorgetragen. Auch dies trug maßgeblich dazu bei, dass die Teilnehmer an diesem Kolloquium einen spannenden Tag erlebten, der nie langatmig wurde, und dass Sie einen großen Fundus an neuem oder vertieftem Wissen mitnehmen konnten. Die Pausen in der professionell organisierten Veranstaltung wurden zu vielfältigen Diskussionen und Networking genutzt.

Das Kolloquium fand aus Anlass des 70. Geburtstags von Prof. Michael Pohl statt.Es gab einen runden Rückblick auf dreißig erfolgreiche Jahre als Wissenschaftler, und es zeigte, welches Potential von der Werkstofffamilie der Duplexstähle noch erwartet werden kann.

Das Tagungsskript kann zum Preis von 20 Euro beim Veranstalter bezogen werden.