Wenn Stähle spröde brechen
oder
Der kleine Unhold: Wasserstoff in Metallen


Verleihung des ThyssenKrupp Werkstoff-Innovationspreises 2011:
(v. l.) Prof. Dr. Ulrich Middelmann (ThyssenKrupp), Dr. Sebastian Kühn (Preisträger, RUB Werkstoffprüfung), Prof. Dr. Michael Pohl (RUB Werkstoffprüfung), Prof. Dr. Hans Ferkel (TKSE-Forschung).

ThyssenKrupp Werkstoff-Innovationspreis an RUB-Forscher verliehen

Für seine herausragende Forschungsarbeit zum Nachweis der Sprödbruchsicherheit von modernen hochfesten Karosseriestählen hat der Bochumer Maschinenbauer Dr.-Ing. Sebastian Kühn den ThyssenKrupp Werkstoff-Innovationspreis 2011 erhalten.

Wasserstoff-Versprödung

Der Forscher hat sich mit den grundlegenden Mechanismen befasst, die dazu führen, dass geringste Mengen Wasserstoff den Zusammenhalt der Eisenatome im Stahl so schwächen, dass es unvorhergesehen zum Bauteilversagen kommen kann. Dazu genügt die unvorstellbar kleine Menge von 1 ppm (part per million), also ein Millionstel Gewichtsprozent (0,000001 %) Wasserstoff in hochfesten Stählen. Der Wasserstoff kann durch Feuchtigkeit bereits in die Stahlschmelze gelangt sein, er kann aber auch z. B. beim Beizen oder durch Korrosion in das fertige Bauteil eindringen.

Wasserstoff mit der Nr. 1 im Periodensystem der Atome ist das kleinste Atom überhaupt. Es hat mit seinen Atomdurchmessern von 1,7 x 10-5 Å keine Schwierigkeit, in das Atomgitter des Stahls mit seiner "Maschenweite" von 2,4 Å einzudringen und sich dort sehr schnell zu den am höchsten belasteten Bereichen zu begeben, wo von außen einwirkende Kräfte das Gitter elastisch aufgeweitet haben. Haben sich auf diese Weise genügend Wasserstoffatome an diesem höchst belasteten Bereich eines Bauteils zusammen gefunden und sich wie eine "Mondfinsternis" in die Bindungen zwischen den Eisenatomen geschoben, dann können die Eisenatome wie in einer Kettenreaktion ihren Zusammenhalt verlieren und das Bauteil bricht spontan. Da das Zusammenrotten der Wasserstoffatome viele Tage in Anspruch nehmen kann, tritt dieses Versagen zu einem Zeitpunkt ein, der nicht vorherzusagen ist. Daher gehören derartige Havarien zu den unangenehmsten Schadensmechanismen der Technik.

Technische Probleme

Alle Bereiche der Technik können betroffen sein: herunterfallende Schraubenköpfe von Windenergiemaschinen, brechende Fahrzeugfedern in Eisenbahnen und Kraftfahrzeugen, berstende Kesselrohre in fossil befeuerten Kraftwerken und Risse in hochfesten Karosserieblechen, die in modernen PKW zur Gewichtseinsparung beitragen sollen.

Die Forschungsarbeit

Herr Kühn hat in seiner Dissertation "Einfluss von diffusiblem Wasserstoff auf die mechanischen Eigenschaften von hochfesten Mehrphasenstählen unter Berücksichtigung der Kaltverfestigung" den Nachweis geführt, bis zu welchen Grenzen die modernen hochfesten Karosseriebleche eingesetzt werden können, ohne dass die sogenannte wasserstoffinduzierte Rissbildung eintritt, die wegen des verzögerten Auftretens und aufgrund der physikochemischen Vorgänge auch kathodische Spannungsrisskorrosion genannt wird. Er hat damit einen wesentlichen Beitrag zur Festlegung der Grenzen geleistet, innerhalb derer eine solche Rissbildung ausbleibt und damit eine Grundlage für die betriebssichere Anwendung dieser High-Tech-Stähle geliefert. Insgesamt kann man feststellen, dass unter allen real vorkommenden Belastungskollektiven, denen eine Fahrzeugkarosserie unterworfen werden kann, ein solches Versagen nicht eintreten wird.

Im Einzelnen lieferte er darüber hinaus mit subtilen Experimenten Antworten auf die Fragen, was unter Extrembelastungen, z. B. an schroffen Querschnittsübergängen oder gar Kerben in Stahlbauteilen passiert:

  • Welche Werkstoffverfestigungen vor der Kerbspitze ergeben sich auf welchen Belastungsstufen?
  • Welche Spannungszustände stellen sich dort maximal ein?
  • Welche Zeit benötigen unterschiedliche Wasserstoffgehalte, um an diesen Orten Risse auszulösen?
  • Welcher ortsspezifische Wasserstoffgehalt wird dort erreicht?

Für diese Untersuchungen war es nicht nur erforderlich, mit einer Kapillare eine in Mikrometerbereichen messende Wasserstoffanalytik anzuwenden, es wurde auch die übliche Wasserstoffanalytik mit dem neuen HCA Verfahren (Hydrogen Collecting Analysis) um mehrere Zehnerpotenzen in der Nachweisgrenze verbessert.

Der ThyssenKrupp Werkstoffinnovationspreis

ThyssenKrupp ist seit 10 Jahren Kooperationspartner der Ruhr-Universität Bochum auf zahlreichen Ebenen und vergibt den Werkstoff-Innovationspreis für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Werkstoff-Forschung. Es gibt Tutorenprogramme für Studenten, Informationsveranstaltungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Exkursionen zu den verschiedenen Standorten des Konzerns, Praktikantenbetreuung und gemeinsame Forschungsprojekte zu aktuellen und grundlegenden technisch-wissenschaftlichen Fragestellungen.

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